Innovationsmethoden – Überblick, Auswahlhilfe und konkrete Anwendungswege
- Simon Steiner
- 25. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Warum dieser Artikel?
Viele werfen Methoden, Frameworks und Tools durcheinander. Hier bekommst du eine klare Einordnung, eine einfache Landkarte über den Innovationszyklus und kurze, belastbare Startschritte. Wichtig: Scrum ist Delivery (Liefern, Priorisieren), keine Innovationsmethode für Discovery/Validierung.
Was ist was? (kurz und schmerzlos)
Methode = wiederholbares Vorgehen (z. B. TRIZ, Jobs to Be Done).
Framework = „Betriebssystem“ für Arbeit/Steuerung (z. B. Scrum, OKR).
Tool = Hilfsmittel (Canvas, Interviewleitfaden, Prototyp).
Ebenen:
Makro (Strategie)
Meso (Vorgehen)
Mikro (Techniken).
Der rote Faden: Innovationszyklus
Innovation ist eine Schleife: Verstehen → Optionen → Ideen → Hypothesen → Experimente → Skalierung. Du springst zurück, wenn Daten Annahmen widerlegen.
Phase | Ziel | Typische Methoden |
Verstehen | Kontexte, Bedürfnisse, Jobs, Risiken klären | Jobs to Be Done, Customer Development (Discovery), Design Thinking (Empathize), Foresight |
Optionen | Suchräume öffnen | Blue Ocean Strategy, Open Innovation, TRIZ, Morphologischer Kasten |
Ideen | Lösungsskizzen schärfen | Design Thinking (Ideate), TRIZ, Morphologischer Kasten |
Hypothesen | Testbare Behauptungen formulieren | Lean Startup, Customer Development (Validation), Kano-Modell |
Experimente | Schnell lernen, Risiko abbauen | Pretotyping, Design Sprint, Fake Door, Wizard-of-Oz |
Skalierung | Umsetzung, Rollout, Betrieb | Roadmap/Portfolio; Scrum/Kanban für Delivery |
Makro (Strategie): Richtung, Räume, Wetten
Blue Ocean Strategy
Was? Strategie, die Konkurrenz vermeidet, indem sie neuen Kundennutzen in „blauen Ozeanen“ schafft (Nutzenkurve, Eliminate–Reduce–Raise–Create).
Warum? Raus aus Preiskämpfen; Differenzierung und Kostenhebel zugleich.
Wofür? Vor allem Optionen; flankt Verstehen und bereitet Skalierung vor.
Stärken/Grenzen. Stark bei Commoditisierung; schwächer, wenn Regulierung/Netzwerkeffekte Räume verengen.
Start in 60 Min. Aktuelle Nutzenkurve skizzieren, 3 Überinvests streichen, 2 unterversorgte Faktoren erhöhen und eine erste ERRC-Matrix füllen.
Open Innovation
Was? Grenzen systematisch öffnen: Outside-In (Scouting, Co-Creation), Inside-Out (Lizenzen, Ventures).
Warum? Blindspots reduzieren, Lernkurven beschleunigen.
Wofür? Verstehen, Optionen, Experimente (Pilotpartner).
Stärken/Grenzen. Hoher Hebel über Ökosysteme; braucht klare IP-Regeln und Partnermanagement.
Start in 60 Min. Partnerkarte (Startups, Unis, Lieferanten, Kund:innen), 3 Suchfelder definieren, pro Feld eine kurze Request for Problem/Proposal formulieren.
Foresight: Szenarien & Backcasting
Was? Plausible Zukünfte bauen und rückwärts heutige Entscheidungen ableiten.
Warum? Strategien werden robuster, Annahmen explizit.
Wofür? Verstehen und Optionen (No-Regret-Moves).
Stärken/Grenzen. Schutz vor Wunschdenken; kein Orakel.
Start in 60 Min. Zwei kritische Unsicherheiten wählen, 2×2-Szenarien aufspannen, je 3 Chancen/Risiken notieren, 5 No-Regret-Schritte ableiten.
Meso (Vorgehen): vom Bauchgefühl zur Evidenz
Design Thinking
Was? Nutzerzentriertes Lernen über Empathie, Problemfokus, Ideation, Prototyp, Test.
Warum? Weniger Lösungsverliebtheit, mehr echter Wert und Team-Alignment.
Wofür? Verstehen und Ideen; frühe Experimente inklusive.
Stärken/Grenzen. Stark bei komplexen Services; schwach ohne Nutzerzugang.S
tart in 60 Min. Zehn Original-Zitate sammeln → drei „How might we…?“ → Crazy-8s → eine Skizze als Papierprototyp testen.
Lean Startup
Was? Build–Measure–Learn für Hypothesen zu Wert, Markt, Wachstum.
Warum? Falsche Annahmen fliegen früh auf; Zeit und Budget geschont.
Wofür? Hypothesen und Experimente.
Stärken/Grenzen. Stark bei Unsicherheit; riskant ohne klare Produktstrategie.
Start in 60 Min. Drei riskanteste Annahmen notieren; für die Top-Annahme ein minimales Experiment und ein Erfolgskriterium festlegen (z. B. ≥5 % CTR auf einer Smoke-Page).
Customer Development
Was? Systematik nach Steve Blank: Discovery → Validation → Creation → Company Building.
Warum? Baut für zahlungsbereiten Bedarf statt für Meinungen.
Wofür? Verstehen, Hypothesen, Experimente.
Stärken/Grenzen. Stark in B2B mit komplexen Kaufzentren; Interview-Bias vermeiden.
Start in 60 Min. Eine Seite Problem-Hypothesen + Kaufkriterien, sieben nicht-suggestive Fragen, fünf Gespräche; „Must-Have“-Signal definieren.
Design Sprint
Was? 4–5 Tage von Problem über Mapping/Ideation zu realistischem Prototyp und fünf Nutzertests.
Warum? Monate Debatte werden zu einer Woche Evidenz und Entscheidung.
Wofür? Experimente in Entscheidungsnähe.
Stärken/Grenzen. Stark für kritische Produktfragen; zu schwer, wenn Problemraum unklar ist.
Start in 60 Min. Präzise Sprint-Frage formulieren, 6–8-Schritt-Journey mappen, Zielmoment wählen, fünf Testpersonen einplanen.
Mikro (Techniken): Schärfe, Varianten, Prioritäten, Evidenz
Jobs to Be Done (JTBD)
Was? Kund:innen „heuern“ Lösungen für gewünschten Fortschritt unter Umständen an.
Warum? Nachfrage verstehen statt Feature-Wunschlisten.
Wofür? Verstehen; teils Hypothesen.
Stärken/Grenzen. Stark in gesättigten Märkten; schwächer bei reiner Pflicht-Regulatorik.
Start in 60 Min. Drei Job-Statements („Wenn…, will ich…, damit…“) schreiben, je fünf Belege sammeln, dass der Job heute schlecht gelöst wird.
TRIZ
Was? 40 Prinzipien + Widerspruchsmatrix, um Konflikte aktiv aufzulösen.Warum? Radikale, aber begründete Lösungen jenseits des Offensichtlichen.
Wofür? Optionen und Ideen.
Stärken/Grenzen. Stark bei harten Zielkonflikten; trocken ohne Strukturdisziplin.
Start in 60 Min. „Mehr X zerstört Y“ formulieren, zwei Prinzipien wählen, je drei Lösungsskizzen entwerfen.
Morphologischer Kasten
Was? Lösung in Parameter zerlegen, pro Parameter Ausprägungen sammeln, überraschende Kombinationen bilden.
Warum? Suchraum sichtbar statt Bauchgefühl.
Wofür? Ideen und Hypothesen.
Stärken/Grenzen. Stark bei modularen Problemen; kann ausufern ohne Kriterien.
Start in 60 Min. Sechs Schlüsselparameter × vier Ausprägungen, zehn Kombinationen ziehen, drei nach Wert/Machbarkeit/Risiko auswählen.
Kano-Modell
Was? Wirkung von Features auf Zufriedenheit (Basis, Leistung, Begeisterung, Reverse, Indifferent).
Warum? Richtige Prioritäten, kein Over-Engineering.
Wofür? Hypothesen und Experimente.
Stärken/Grenzen. Ergebnisse altern schnell; Begeisterung wird Basis.
Start in 60 Min. Fünf Feature-Hypothesen, pro Feature ein Kano-Fragepaar, mit 15 Personen testen, einordnen.
Pretotyping
Was? „Bauen wir die richtige Sache?“ vor „Bauen wir sie richtig?“ (Fake Door, Concierge, Wizard-of-Oz, Pinocchio).
Warum? Wochen statt Monate; echte Verhalten-Signale.
Wofür? Experimente.
Stärken/Grenzen. Stark bei Markt-/Verhaltensrisiken; ungeeignet, wenn volle Funktionsmuster vorgeschrieben sind.
Start in 60 Min. Landingpage mit klarer Value Proposition und einem CTA, Messziel setzen (z. B. ≥20 % Signup), minimalen Traffic drauf.
Häufige Verwechslungen & Fallstricke
Discovery (finden, testen) ≠ Delivery (liefern, priorisieren).
Scrum/Kanban/SAFe gehören in die Umsetzung.
Six Sigma/Kaizen optimieren Qualität/Varianz, sind aber schwach für Opportunity-Suche.
Brainstorming ohne Regeln liefert Lärm; arbeite mit klaren Prompts, Timeboxing und stillen Techniken.
Szenarien sind keine Vorhersagen – Wert entsteht durch Backcasting + Experimente. Personas erklären selten Kaufmotive; formuliere Jobs/Outcomes und miss Verhalten statt Meinungen. Umfrage-Zustimmung ist kein Nachfrage-Beweis.
Drei Praxispfade – einmal in echt
Neues digitales Produkt (hohe Unsicherheit)
JTBD-Interviews → eine präzise HMW-Frage → Ideation (Design Thinking, Morphologischer Kasten) → Hypothesen zu Wert/Verhalten/Preis → Pretotypes (Fake Door) mit vorher festgelegten Schwellen → kurzer Design Sprint → Roadmap. Traktion? Discovery weiterführen und dann Delivery mit Scrum.
Serviceinnovation im KMU
Ist-Service-Blueprint zeichnen → „Moment of Truth“ wählen → Ideen (SCAMPER/Analogien) → Concierge-MVP + Wizard-of-Oz testen → Shadow-P&L rechnen → schrittweise automatisieren (SOP, Training).
Geschäftsmodell-Schwenk
Foresight (2×2) → No-Regret-Moves → Blue Ocean (Nutzenkurve/ERRC) → Markt-Experimente (Pricing/Pakete, Pilotkunde) → Open-Innovation-Partner → Unit-Economics auf echter Nachfrage → kill/pivot/scale.
Mini-Auswahlmatrix (5×5)
Wähle die kleinste Methode, die dein größtes Risiko falsifizieren kann.
Kriterium \ Methode | JTBD | Design Thinking | Lean Startup | Design Sprint | Pretotyping |
Markt-Unsicherheit | ✔ | ○ | ✔✔ | ○ | ✔✔ |
Zeitdruck | ○ | ○ | ✔ | ✔✔ | ✔✔ |
Stakeholder/Regulatorik | ○ | ✔ | ○ | ○ | ○ |
Budget sehr knapp | ○ | ○ | ✔ | ○ | ✔✔ |
Technik-Zielkonflikte | ○ | ○ | ○ | ○ | ○ |
Legende: ✔✔ sehr geeignet · ✔ geeignet · ○ situativ
Hinweis: Bei Technik-Zielkonflikten zusätzlich TRIZ einsetzen.
FAQ – kurz & klar
Welche Methode ist „die beste“? Keine. Nimm die, die dein größtes Risiko zuerst adressiert. Design Thinking vs. Lean Startup? DT versteht Problem & Idee, Lean testet Hypothesen dazu mit klaren Erfolgskriterien.Ist Scrum eine Innovationsmethode? Nein. Scrum hilft liefern. Discovery/Validierung laufen davor bzw. parallel.Wie schnell sehe ich Ergebnisse? Mit Fake Door/Concierge oder Sprint: Tage bis erste Verhalten-Signale. Skalierung: Wochen bis Monate.Welche Methode bei wenig Budget? JTBD-Interviews, Pretotyping, Concierge/Wizard-of-Oz, kleiner Design-Sprint – mit vorhandenen Kanälen/Kund:innen.
Kommentare